Psychedelika-Therapie: Mit LSD-Trips gegen die Depression
Zur gleichen Zeit begründete in den USA der tschechische Psychiater Stanislav Grof die transpersonale Psychotherapie. Anders als Leuner verabreichte Grof sehr hohe Dosen LSD und Psilocybin. Sein Ziel: Ekstase, spirituelle Erlebnisse, mystische Erfahrungen und Grenzerfahrungen provozieren. In der Wucht der mentalen Disruption und der Heftigkeit der Erfahrung sah er das größte Heilungspotenzial. Grof und andere erprobten die Wirkung der Drogen bei Alkoholabhängigkeit, Autismus und bei Patienten, die an einer tödlichen Krankheit litten und als Folge der fatalen Diagnose eine Depression entwickelt hatten.
Dann aber erhob die sogenannte Flower-Power-Bewegung den bewusstseinserweiternden Drogenkonsum zum Symbol der Revolution – und verschreckte konservativere Teile der Bevölkerung. Es kam zum Skandal um den Psychologen Timothy Leary. Der wurde 1963 von der Eliteuniversität Harvard suspendiert, weil er LSD, Meskalin und Psilocybin an Studierende ausgegeben hatte. Leary wollte, dass alle Zugang zu den bewusstseinsverändernden Substanzen haben, LSD sei "Vitamin fürs Gehirn" und ein Mittel zur "Neu-Programmierung", ihm wohne weltveränderndes Potenzial inne. Den systemkritischen und gegen den Vietnamkrieg demonstrierenden Hippies rief er zu: "Turn on, tune in, drop out."
Beim republikanischen US-Präsidenten Richard Nixon kam das nicht gut an. In den USA wurde LSD 1966 verboten, obwohl das US-amerikanische National Institute of Health zuvor mehr als 130 Psychedelika-Studien finanziert hatte. 1971 wurden LSD und Psilocybin auf Drängen der USA über die Vereinten Nationen auch in anderen Staaten verboten und damit auch in Deutschland als nicht verkehrsfähige Substanz deklariert. Für Jahrzehnte ruhte die Behandlung und Forschung mit den Mitteln auf der ganzen Welt.
Als Andreas Brunner 2018 zum ersten Mal von der Therapie mit Psychedelika erfuhr, war er entsprechend skeptisch. "Ich nehme keine Drogen", sagt der sportliche Mann mit dem kurzen braunen Haar. "Für mich war das etwas, was man nur aus Filmen wie Fear and Loathing in Las Vegas kennt." Eine Hunter S. Thompson-Verfilmung, in der Johnny Depp als Hauptdarsteller Grimassen schneidend und hektisch herbeihalluzinierte Fliegen jagt. "Was mich dann von der Wirksamkeit der Therapie überzeugt hat, war das Gespräch mit Doktor Gasser."
Peter Gasser betreibt eine psychotherapeutische Praxis in Solothurn. Als Forscher hat er seit dem Jahr 2004 an mehreren klinischen Studien in der Schweiz mitgewirkt (zum Beispiel The Journal of Nervous and Mental Disease: Gasser et al., 2014). 2014 war er der Erste, dem das Schweizer Gesundheitsministerium über Einzelfallanträge die Behandlung von Patienten mit LSD bewilligte. "Mittlerweile sind wir vielleicht zehn bis fünfzehn Therapeuten in der Schweiz, die solche Bewilligungen haben", sagt er. Weil die Therapie bisher nicht zugelassen ist, müssen die Patienten selbst zahlen.
Für Andreas Brunner war die Therapie bei Gasser ein Glücksfall. Mit den Klischees, die man immer wieder über LSD lese und höre, habe diese Behandlung aber wenig zu tun. "Wenn ich aus dem Fenster der Dachschräge im Behandlungszimmer die Wolken beobachtet habe, dann war das faszinierend und ich habe Muster und Strukturen gesehen", sagt Brunner. "Aber es gab keine Halluzinationen mit irgendwelchen Geistern oder Monstern oder so." Dennoch, sagt er, habe ihn die starke und wirkmächtige Substanz in den Sitzungen auch immer wieder "umgehauen".
"Man muss sich das ein bisschen vorstellen wie bei einer Meditation", erklärt Brunner. Zuerst gelinge es einem nicht, den Geist ruhig werden zu lassen und sich zu konzentrieren. Dann aber kämen die Bilder und die Emotionen. "Es kommen Themen auf, und man weiß oft sehr schnell, worum es geht, aber man kann den Verlauf der Ereignisse nicht kontrollieren." Was man während eines Trips sehe, spüre, oder fühle, sagt Brunner, sei individuell und unterscheide sich von Person zu Person und von Trip zu Trip. Das bestätigen auch Forschende. Zumindest aber könnten die Patienten versuchen, dem Trip eine Richtung zu geben, indem sie zu Beginn eine Intention für die mentale Reise setzten.
"Für mich ging es bei der Behandlung in erster Linie um die Frage, warum ich diesen starken Waschzwang habe", erzählt Brunner. Die Antwort darauf kam ihm aber erst in der letzten Sitzung. Zunächst habe er in den Sitzungen Selbstbewusstsein und psychische Stärke aufbauen können, erzählt Brunner. Er habe sich zum Beispiel wie ein Baum gefühlt. "Ich habe die vielen kleinen Wurzeln gespürt, die in die Erde hineinreichen, und gemerkt, wie stark mich das macht." Ein Gefühl der Unbesiegbarkeit sei das gewesen und ein immenses Glücksgefühl. "Ich bin so stark, mich kann nichts umhauen. Das war mein Gefühl."
Während der Trips begab sich Brunner mental auch in Situationen, die seinen Waschzwang triggerten: Er stellte sich vor, wie er eine Türklinke anfasste oder einen Griff in der Bahn. "So konnte ich dann für mich verstehen: Der Waschzwang ist total irrational. In der realen Situation geht das nicht. Da ist die Panik zu groß."